I'm deaf, not dumb

Laut Definition gilt eine Person als taub, wenn sie 120 Dezibel nicht mehr hören kann, da immer das Resthörvermögen gemessen wird. 120 Dezibel entsprechen der Explosion eines China-Böllers aus nächster Nähe. Als gehörlos wird eine Person erst bezeichnet, wenn sie beidseitig taub ist.


Nun, ich bin taub. Auf meinem rechten Ohr höre ich nicht mehr das Zersprengen in tausende Einzelteile eines Böllers mit asiatischem Hintergrund. Glücklicherweise ist die heutige Technik fortgeschritten und hat sich mit der Medizin vereinigt um zusammen extrem hilfreiche Prothesen anzufertigen, womit Menschen das Hören wiedererlangen oder zum ersten Mal erfahren können. Solch eine Prothese, in meinem Falle ein Innenohrimplantat oder auch Cochlea-Implantat, trage ich. Es ermöglicht mir die Welt annähernd so hören zu können wie andere es auch tun. Trotzdem erlernte ich als mit 4 Jahren die Gebärdensprache, für alle Fälle.


Da meine Eltern mich so normal wie möglich erzogen, besuche ich die Regelschule und gehe heute in die zehnte Klasse einer High School in Boston, Massachusetts. Nach meinem Abschluss möchte ich Anwältin werden. Meine Zukunft habe ich schon sorgfältig geplant.


Jedenfalls befinde ich mich gerade auf der Comic Con in meiner Stadt, Schuld daran meine Leidenschaft zu Fantasy und Science Fiction. Zudem sind auch Sebastian Stan und Chris Evans beispielsweise in diesem Jahr hier, zwei meiner vielen Vorbilder. Und die Chance diese Vorbilder zu treffen möchte sich niemand durch die Lappen gehen lassen.


So habe ich lange gespart um mir auch diesen Tag unvergesslich zu machen. Leider bin ich alleine hier, da mein bester Freund James nicht kann. Er ist mit seiner Familie auf einen Ausflug in NYC, wünscht mir aber viel Spaß und ist extrem neidisch.


Jedoch stehe ich ein wenig hibbelig in der Warteschlange und zuppel an meinem Kostüm. Ich trage ein Cosplay zum ersten Anzug von Captain America aus The First Avenger. In dem Moment, in dem ich mein Schild nochmal anders greife, tippt mir jemand auf die Schulter. Ein junger Mann, Anfang 20 vielleicht, schaut mich an und fuchtelt mit seinen Händen herum. Ich brauche wenige Momente um zu begreifen, dass er mir in Gebärdensprache gerade etwas sagt.


"Hey, ich sehe, dass du ein Implantat trägst. Kannst du trotzdem normal sprechen?", fragt er mich. Etwas perplex nicke ich und antworte: "Ja, ich bin nur einseitig taub. Wieso fragst du?" Daraufhin schaut er etwas traurig. "Ich bin gehörlos von Geburt an. Deshalb traue ich mich nicht vor Fremden zu reden. Außerdem besitze ich keine Hilfsmittel. Kannst du mir aber einen riesigen Gefallen tun?" Bereitwillig nicke ich. "Kannst du bitte für Sebastian und Chris übersetzen was ich ihnen sagen möchte?" Wieder nicke ich: "Natürlich. Aber du kennst dich mit dem Cast aus, oder?" "Klar, ich bin taub, nicht dumm!"


Bevor ich antworten kann, sind wir plötzlich dran. "Hey, ihr zwei. Wer seid ihr?", begrüßt uns Chris strahlend. Oh man, der Typ lächelt und ich bin glücklich. "By the way, dein Cosplay ist ja cool. Sebby! Schau dir das an. Ich glaube die Kleine hat mein Kostüm geklaut!" Sofort kommt er zu uns rüber und komplementiert mein Outfit genauso. Lachend antworte ich: "Danke danke. Ich bin Robin und der junge Mann hat mich eben angesprochen. Leider kann auf beiden Ohren nichts hören. Da ich die Gebärdensprache, wie auch Sebastian, beherrsche, hat er mich gefragt, ob ich nicht für ihn übersetzen könne."


Eigentlich bin ich total aufgeregt. Aber da ich eine Mission habe, kann ich  meine Nervosität ignorieren. Nebenbei zeige ich für den jungen Mann was ich sagte. Dankbar lächelt er mich an. "Ok, dann schießt mal los", sagt Seb. Dabei zeigt er, dass wir beginnen können. Augenblicklich legt der junge Mann los und ich übersetze.


"Ihr seid beide meine größten Helden und ich bin euch echt dankbar, dass ihr es schafft diesen Charakteren die richtige Performance zu geben. Seit ich ein kleiner Junge bin, bin ich mit den Comics über Captain America und den Winter Soldier viel in Kontakt gekommen und dadurch auch mit ihnen aufgewachsen. Ihr habt mich durch so viele Höhen und Tiefen in meinem Leben begleitet. Dafür wollte ich euch einfach danke sagen. Danke, dass er einem einfachen Zuschauer wie mir unbewusst durch eure Rollen regelmäßig helft."


Die beiden Schauspieler sind zunächst sprachlos, jedoch fängt Sebastian auch an in Gebärdensprache zu reden und antwortet dem jungen Mann, dass Leute wie er sie inspiriert solche Rollen zu übernehmen und weiterzumachen. Dann geben die beiden ihm sein Autogramm, nachdem Sebby Chris' Antwort übersetzt hat. Ich fühle mich unglaublich fehl am Platz, da ich nur rumstehe und Löcher in die Luft starre.


Als der junge Mann gegangen war, drehen sich die zwei zu mir. "Du kommst von hier, oder Kleines? Das höre ich doch an deinem Dialekt", fragt der rechtschaffene Captain. Eifrig nicke ich: "In Boston geboren und aufgewachsen und gehe hier auch zur Schule. Ich habe sozusagen die Wurzeln da, wo Captain America sie auch hat." Lächelnd lege ich ihnen mein Poster von Infinity War hin. Augenblicklich beginnt Chris darauf etwas zu schrieben, während der andere zu mir spricht: "Ich finde es echt toll, wie du dem Jungen geholfen hast. Bist du auch taub?" "Ja, auf dem rechten Ohr. Jedoch trage ich eine Prothese zum Ausgleich, weshalb ich nicht so mies dran bin wie andere." Als ich ende, schiebt der Blonde das Poster zu seinem Freund hinüber. "Es ist echt erfrischend einen Menschen wie dich kennen zu lernen, Robin. In den wenigen Minuten, in denen ich dich gesehen habe. hast du dich zu einem meiner Vorbilder entwickelt. Ich hoffe, dass man sich nochmal trifft." Zwinkernd beugt Chris sich über den Tisch und umarmt mich plötzlich. Perplex erwidere ich sie. Kurz darauf hat Sebastian mich auch in seine Arme geschlossen.


"Bis dann, Robin" verabschiedet er mich und drückt mir das zusammengerollte Plakat in die Hand. Immer noch geschockt nicke ich und verlasse den Bereich für die Autogramme. Kurz darauf verlasse ich das Gebäude um frische Luft zu schnappen.


Endlich entrolle ich das Plakat und lese, welche Texte die beiden darauf geschrieben haben. Lächelnd lese ich die Komplimente und Ermutigungen so weiter zu machen, wie ich es gerade tue. Mit einem strahlenden Grinsen auf dem Gesicht packe ich das Plakat ein und schaue nochmal das Gebäude an. Bestärkt gehe ich in die entgegengesetzte Richtung und denke mir: "Ich kann alles erreichen, was ich möchte. Nur meine Phantasie setzt mir meine Grenzen. Also gehe ich nächste Woche zu der Audition und werde vielleicht irgendwann an der Seite meiner Vorbilder auf einer Leinwand zu sehen sein."


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Funfact 1: Sebastian Stan beherrscht wirklich die amerikanische Gebärdensprache (ASL).


Funfact 2: Ich bin wirklich auf meinem rechten Ohr taub und trage ein Gerät wie Robin. Das Bild oben soll euch zeigen, was gemeint ist (aber es ist nicht von mir). Wenn sich Fragen bei euch ergeben, dann stellt sie ruhig hier in den Kommentaren. Ich antworte sogar darauf ;)

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