Held vor dem Zusammenbruch?

"Wenn man dem Tod schon öfters ins Auge blickte, glauben alle, man schätze das Leben mehr. Aber ich habe da andere Erfahrungen gemacht. In solchen Momenten wird einem erst bewusst, wie nichtssagend das alles hier auf der Erde ist. Wie wenig unsere Taten nachher bedeuten. Vielleicht helfe ich deswegen der Menschheit. Einfach nur, weil ich nicht vergessen werden will. Vielleicht weil sich in der Zukunft andere Menschen an meinen Taten ergötzen sollen oder weil mir die dankbaren Blicke der geretteten Menschen genügt. Ich weiß es nicht. Aber deshalb bin ich hier. Durch diese Gedankengänge bin ich, laut der Aussage meines Psychologen, depressionsgefährdet.


Ich fühle mich aber hin- und hergerissen. Zwischen 'Genieße das Leben' und 'das Leben ist wertlos'." Nachdem ich meine Aussage beende, will ich mich setzen. Aber Sam Wilson, der Leiter der Selbsthilfegruppe, bedeutet mir stehen zu bleiben. 


"Und was erhoffst du dir von dieser Gruppe hier?", fragt er mich mit ruhiger Stimme. Im Gegensatz dazu wütet ein Hurricane in meinem Inneren. "Ich weiß es selber nicht mal. Vielleicht die Antwort, die all meine negativen Argumente dem Leben gegenüber zerschmettert. Vielleicht suche ich nur Menschen, die mich verstehen können. Oder ich will mir alles von der Seele reden.", antworte ich aufgewühlt. 


Sam hingegen scheint immer noch die Ruhe in Person zu sein:"Nun, wenn du es nicht mal selber weißt, wie sollen wir dir helfen? So wie du den Leuten hilfst, möchte die ganze Gruppe dir helfen. Dafür musst du dich uns öffnen. Kannst du das?" 


Ich spüre acht Augenpaare auf mich schauen und fühle mich immer unbehaglicher. Wieso musste ich auch mit Superkräften verflucht worden sein? Der Hurricane in meinem Körper entwickelt sich zu einer Naturkatastrophe. Und ich werde das beklommene Gefühl nicht los, dass das der Leiter der Selbsthilfegruppe will. Trotzdem gehe ich darauf ein. 


"Verdammt ich will mich ja öffnen. Aber die Angst verraten zu werden ist zu groß. Die Paranoia ist mein ständiger Begleiter. So viele Menschen sind wegen mir verurteilt worden. Jeder von denen hat seine Strafe bekommen, vielleicht bekomme ich deswegen auch meine Strafe! Verdammt, wieso habe ich diese Kräfte bekommen, obwohl ich mit dieser ganzen Helden-Geschichte nichts zu tun haben wollte!" Verzweifelt fahre ich mir durch die rostroten Haare. Es fällt mir schon an sich schwer meine Gefühle anderen Personen zu offenbaren, aber nun steigen mir noch Tränen in die Augen. Und das nur wegen eines wissenschaftlichen Unfall meiner Eltern. 


Ich setze mich auf den Stuhl und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Das salzige Wasser läuft mir unaufhörlich über die Wangen. Zwar kann ich mir denken, dass solche Gefühlsausbrüche in der Gruppe öfters passieren, doch die Reaktion von Sam hätte ich nicht erwartet:"Möchte jemand etwas über Hannas Lage sagen? Ermutigungen, Erinnerungen oder Ratschläge?" Da bohrt der Ex-Soldat weiter in meiner Wunde rum. Wenn ich ihn in die Finger kriege... 


Ich höre nur, wie er jemanden mit einem 'Ja' auffordert zu reden. Zuerst räuspert sich dieser, bis eine angenehm tiefe beruhigende Stimme anfängt zu sprechen:"Vielleicht sind wir dazu verdammt, mit der Gefahr der Rache zu rechnen. Und vielleicht liegt auch eine große Last auf unseren Schultern. Die Last der Verantwortung. Vielleicht sind die dankbaren Menschen oder die geretteten Leben der Sinn UNSERES Lebens. 
Fällt es dir selber auf? Du nutzt zu oft ein 'vielleicht'. Du bräuchtest mehr 'es ist so'. Dir fällt zwar in solchen Momenten die Wertlosigkeiten des Lebens auf. Aber wann bemerkst du denn den Sinn? Es ist wundervoll den Wind durch die Bäume wehen zu hören. Wie er die Blätter streift und dadurch das Rascheln erzeugt. Das einmalige Gefühl, wenn das Wasser deine Füße umspielt und in der Ferne das Lachen glücklicher Kinder zu hören ist.


Du bist eine schöne junge Frau. Bitte, lebe das Leben und mache dir keine Sorgen um den Sinn oder den Nutzen. Dazu hast du noch später Zeit. Und wenn wir für das Retten der Menschheit draufgehen, können wir eins immer sagen:'Ich bin für Sinn gestorben'". 


Ich habe während dieses Monologs zu dem hübschen Jungen aufgeschaut. Seine tollen blauen Augen fesseln mich. Doch als er endet, löst er etwas aus. Eine schmerzliche Erinnerung. So springe ich mit Tränen in den Augen auf werfe dabei den Stuhl um, der ein dumpfes Geräusch dabei gibt, und stürme aus dem Raum. Raus an die frische Luft. Doch draußen angekommen ist es schon dunkel.


Durch unzählig viele Gefühle aufgewühlt, lasse ich mich an der Hauswand runterrutschen und betrachte die Sterne. Der Nachthimmel hat etwas mystisches an sich und lenkt mich von dem ganzen Mist hier unten ab. Als ich kleiner war, habe ich mir immer die zwei hellsten Sterne ausgesucht und gedacht, es wären meine Eltern. Dann sprach ich mit ihnen. So auch jetzt.


"Wisst ihr eigentlich, dass ich euch nicht böse dafür bin, was ihr aus mir gemacht habt, sondern enttäuscht, dass ihr es gemacht habt? Verdammt hört es sich unschlüssig an. Also was ich sagen will ist, dass ich euch liebe. Egal was passiert. Und viell.. bestimmt hat der Typ recht. Es ist alles nur eine Phase von mir und es wird alles besser. Das würde ich mir jetzt einreden, wenn ich nicht diese Rationalität von euch hätte. Aber hey, dafür kann ich mit Telekinese mein Zeug besorgen. Man muss auch positiv denken.", plappere ich vor mir hin.


Plötzlich erschrickt mich eine Stimme von der Seite:"Wenn du so optimistisch denkst, gefällst du mir schon besser." Sofort begebe ich mich in Kampfposition, bereit meinen Gegner den Gar auszumachen. 


"Hey, ganz ruhig. Ich werde dir nichts tun. Ich möchte dir helfen." 


Und das tat er. Wer? 


Steven Grant Rogers.

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